Ein kleiner Wegweiser in die virtuelle Welt und die Arbeit, die es dafür im realen Leben braucht.
Ein langweiliger Vortrag bleibt ein langweiliger Vortrag – egal ob er analog auf einer echten Bühne stattfindet oder in einem virtuellen Webinar. Nur, dass die Zuschauer im Schlafanzug bequemer und besonders unbemerkter einschlafen können, als im Hosenanzug in der ersten Reihe. Vieles bleibt gleich, um eine Veranstaltung zu einem Erfolg zu machen: Spannende Referenten*innen, gute Themen. Wenn die Ministerin auftaucht, ist die Bude voll und das virtuelle Meeting auch. Aber was, wenn nicht? Was ist mit den Stunden danach, wenn die fachliche Expertise, der sachliche Austausch beginnen, aber das gemeinsame Kaffeetrinken, das Netzwerken der Teilnehmer*innen, der Kontakt- und Fachaustausch in den Pausen in der digitalen Welt wegfällt? Dann braucht es neue Lösungen. Andere Wege. Gesteuerte Interaktion, gute Moderation und Abwechslung im Ablauf und in der Wahl der Medien.
Betrachten wir einmal die Welt der digitalen Veranstaltungen des Jahres 2020 aus der Perspektive der Teilnehmer*innen, der Zuschauer*innen vor ihren eigenen Endgeräten: Ich kenne neuerdings die Falten am Kinn vieler Menschen besser als sie selber ihre eigene Augenfarbe. Andere haben Glubschaugen – vielleicht weil sie denken, dass die Kamera ihres Laptops so klein ist, dass man ganz nah heranmuss? Erstaunlich ist auch, wie viele Leute kaum Licht in ihren Wohnungen haben oder so sitzen, dass ihre Worte aus dem Dunkel erschallen.
Und wenn die Bücherregale nicht so schief wären, könnte man wenigstens die Titel lesen. Aber immerhin haben erstaunlich viele Menschen immer noch Bücher. Das ist sehr, sehr beruhigend. Veranstaltungen im Netz – ob es Pressekonferenzen, Tagungen, Kongresse oder Konferenzen sind – sind alle gut für das Klima und zwingen einen, sich zu schminken, bevor der Tag überhaupt losgeht.
TIPP Nr 1: Achten Sie auf den Hintergrund, wenn Sie – oder Ihre Referent*innen vor einem Computer oder Laptop sitzen und per Video zu sehen sind; sitzen oder stehen Sie gerade mit der Kamera auf Augenhöhe, stellen Sie Laptop oder Computer hoch und nutzen Sie nicht den Bildschirm zur Höhenkorrektur, gebrauchen Sie keine Handys oder Tablets, damit die Blickrichtung stimmt; lassen Sie das Licht von vorne scheinen und sorgen Sie für eine möglichst gute, stabile Internetverbindung.
Das gilt für Sie, wenn Sie Referent*in einer Veranstaltung sind, wenn Sie moderieren, wenn Sie Ihre*n Chef*in für eine Moderation einer digitalen Veranstaltung vorbereiten, wenn Sie Referent*innen einer digitalen Veranstaltungen briefen und betreuen oder wenn Sie selber einfach nur gut aussehen wollen, so sie an einer digitalen Veranstaltung per Video teilnehmen.
Keinesfalls werden die jetzt gemachten Erfahrungen, die notgedrungenen Notwendigkeiten des Teilnehmens und Teilhabens aus der Ferne, dazu führen, dass #nachcorona Veranstaltungen nur noch digital ablaufen. Niemals wird ein Videokonferenztool alle realen Meetings ersetzen, wird eine digitale Produktpräsenz alle Messen austauschen, niemals wird eine virtuelle Tagung den analogen Austausch erübrigen. Aber die professionelle Begleitung von analogen Veranstaltungen im Netz, das Live-Streamen öffentlicher Events, das gleichzeitige Präsentieren von Inhalten, um breitere Zielgruppen und mehr Menschen zu erreichen oder einfach nur einigen die Anreise zu ersparen, das wird normaler werden, selbstverständlicher und häufiger. Die Zukunft ist der gut gemachte, coole Hybrid – für mehr Reichweite, größere Beteiligung, bessere Resonanz.
TIPP Nr. 2: Denken Sie analoges, reales Bühnengeschehen und die digitale Umsetzung parallel. Wo ergibt ein Live-Stream Sinn? Wann eignet sich eine Konferenz auf mehreren Plattformen? Welche Tools machen auf allen Kanälen Spaß und motivieren das Publikum dazu, dabei zu bleiben?
Da geht die Reise hin. Aber nur, wenn die Koffer ordentlich gepackt sind und das Auto vollgetankt ist. Die wenigsten Moderator*innen und Referenten*innen sind darauf eingerichtet, was es heißt, vernünftig online zu präsentieren. Selbst die, die viel Erfahrung auf normalen Bühnen haben, kommen auf die lustigsten Ideen, wenn der Ort, die Umgebung oder gar die Technik auf einmal anders ist. Der Ton ist analog und digital überaus wichtig. Also müssen alle aktiven Parts einer Veranstaltung gut versorgt und betreut werden: Mal mit einfachen Kopfhörern, mal mit den richtigen Einstellungen, mal mit ausreichend Zeit für Proben und Testläufe. Vorbereitung ist alles, ein Satz, der wenige gern hören, der aber entscheidend zum Gelingen eines digitalen Events beiträgt – wie im realen Leben.
TIPP Nr. 3: Auf den guten Ton kommt es an. Wer steuert die Tonregie im System? Führen Sie Testläufe für alle Beteiligten durch, um Rückkopplungen und Tonstörungen von vorneherein zu vermeiden. Zeigen Sie am Anfang einer Veranstaltung dem Publikum, wo und wie sich jeder via Audio zuschalten kann, welche Knöpfe zu drücken und welche Voraussetzungen zu schaffen sind, um gut zu hören und gut gehört zu werden.
Ein guter Witz ist ein guter Witz ist ein guter Witz. Ein guter Comedian kann überall auftreten. Richtig getimed. Perfekt inszeniert – selbst wenn es nicht so aussieht – und wir lachen. Egal, ob wir sie oder ihn bei YouTube ansehen, im Fernsehen bewundern, auf einer Bühne beklatschen oder ob er den Schluss ihrer digitalen Konferenz als unterhaltendes Highlight krönt. Der Ort, die Plattform ist letztlich egal. Lachen tun wir trotzdem. Analog und digital unterscheiden sich bei vielem gar nicht so sehr, wie man auf den ersten Blick denkt. Oder anders gesagt: Ein guter Artikel in der Zeitung wird ja auch nicht schlechter, nur weil man ihn online liest.
Selbst die Längen sind nicht mehr das, was sie mal waren: Die einen mögen lange Filme, die anderen kurze. Ob im Fernsehen oder in der Mediathek. Und dass es heutzutage vollkommen normal ist, dass man sich in vier Nächten sieben Staffeln mit drei Hauptfiguren in einer einzigen Serie anguckt und tagelang völlig übermüdet morgens um fünf erst einschläft, das hätten Filmemacher und Medienwissenschaftler auch noch vor zehn Jahren für vollkommen ausgeschlossen gehalten. Das Rezeptionsverhalten hat sich geändert, ganz klar. Aber für Veranstaltungsmacher mit Hang zum bewegten Bild nicht zum Schlechteren.
TIPP Nr. 4: Gute Redner, große Namen, prominente Gesichter ziehen – egal wo. Was auf einer richtigen Bühne gut ist, funktioniert auch im Netz. Das gilt für die große Show genauso wie bei einem erlesenen Expertengespräch.
Natürlich ersetzt ein Musikvideo kein Konzert. Aber wenn es keine Konzerte gibt, hören wir uns Igor Levit auch auf Twitter an. Doch was das Digitale niemals ersetzen wird, ist der Austausch, ist die Stimmung vor Ort, ist das Netzwerken bei Messen, Konferenzen, Tagungen… Was fehlt, sind die anderen Menschen. Der gemeinsame Kaffee, das Gefühl nahe dran zu sein, manchmal einfach nur aus dem Büro rauszukommen, die Kontaktpflege. Das war früher so, das ist heute so. Das wird auch immer so bleiben. Der Mensch ist schließlich ein soziales Wesen. Der persönliche Kontakt ist kaum zu ersetzen. Und dennoch muss man es versuchen, die Zuschauer, die User, das Publikum mit einbeziehen.
TIPP Nr. 5: Seien Sie kreativ und nutzen Sie die Tools, die Ihnen möglich sind, um Ihre Teilnehmer*innen einzubeziehen: Chatfunktion, Umfragen, Whiteboards, Q&A ob schriftlich via Audio oder Video.
Aktivierende und motivierende Moderation und Pausen mit Unterhaltungsfunktion können aus reiner Frontbeschallung ein interaktives und kommunikatives Erlebnis machen. Kaffeeecken, Lunchlounges, Rückzugsmöglichkeiten in kleine digitale Einzelräume zum direkten Austausch sind ebenso denkbar, wie gemeinsame Erlebniswelten durch Onlinespiele, digitale Kochkurse, virtuelle Fitnessübungen oder Coachings-Sessions in den Pausen oder als Team- und Gestaltungselemente, um den Ablauf Ihrer Konferenz unvergesslich zu machen.
Um es deutlich zu sagen: Nicht jeder will, nicht jeder muss immer und überall mitmachen. Manche wollen nicht per Video zu sehen sein, die anderen kochen nebenher und sind trotzdem dabei. Der Grad der Interaktion, die aktive Teilhabe und Teilnahme, die Umfänglichkeit der entsprechenden Briefings und Vorbereitungen der Teilnehmer – das alles hängt stark von der Art der Veranstaltung ab. Eine Tagung mit 30 Personen ist anders zu gestalten als eine Konferenz mit 1000 Teilnehmer*innen. Ein Workshop ist anders als ein Konzert. Je nach Format müssen Teilnehmer mitmachen (Abstimmung oder Lernkontrolle), kann das Publikum beteiligt werden (Q&A oder Umfragen), sollen alle nur zusehen und hören.
TIPP Nr. 6: Passen Sie die Veranstaltungsform und den Einsatz der möglichen Tools an die Form ihrer digitalen Veranstaltung an.
Auf jeden Fall ist es wichtig, die Formen, Möglichkeiten und Erwartungen genauso gut im Vorfeld zu kommunizieren wie die technischen Hinweise des zum Einsatz kommenden Systems. Briefen Sie auch ihr Publikum, damit alle wissen, was auf sie zukommt. Aber bieten Sie auch einen Betreuungsservice, einen Support direkt vor und während der Konferenz.
Teilnehmer*innen, die sich gut betreut fühlen, die Fragen stellen können, wenn der Computer spinnt, der Ton nicht geht oder sie einfach kein Bild haben, sind froh und dankbar für Hilfe und Unterstützung. Nehmen Sie den Kundenservice ernst und vieles andere wird Ihnen verziehen.
TIPP Nr. 7: Richten Sie einen Kundenservice ein und trennen Sie technischen Host und Moderation ihrer Veranstaltung. Nur damit können Sie gewährleisten, dass Inhalt und Verfügbarkeit, Zugang und Teilhabe gleichberechtigt und reibungslos im Sinne der Teilnehmer*innen ablaufen.
Das alles kostet viel Zeit, wenig Geld, aber Mühe, Geduld und Zugewandheit. Aber es lohnt sich.
Weil digital fast wie analog ist.
Claudia C. Bender