Auf ein Wort: Sprache iN Zeiten der Krise

Wer von uns hätte im Februar 2020 gedacht, dass Quarantäne, Reproduktionsrate oder Hintergrundimmunität in unseren Sprachschatz einfließen wie Butter, Brot und Peitsche?

Wer von uns hätte vor wenigen Monaten gedacht, dass unsere Mütter lieber Christian Drosten zum Schwiegersohn hätten als Brad Pitt? Aber dass ernsthaft Eltern ihre Zwillinge Covid und Corona nennen, das zeugt von einer Ironie, die ich mehr in Hollywood als in Bollywood verortet hätte.

Sprache in Zeiten der Krise.01. „Worte sind nicht ansteckend, sondern sie übertragen eine Haltung, die sich schnell verbreiten kann“, schrieb Charlotte Wiedemann im März 2020 in der taz.

Sprache in Zeiten der Krise.02: Jede Krise bringt neue Worte hervor. Alte Worte, die nur für Laien neu sind, neue Worte, die es nie zuvor gab oder gar ganz neue Wortkreationen. Mehr oder wenig lustig. Mehr oder weniger zutreffend.  Nicht alle überleben. Aber sie entstehen innerhalb von wenigen Tagen.

Ein gutes Beispiel: Soziale Distanz. Was um Himmels Willen soll das denn sein?

Soziale Distanz: Vereinsamung leicht gemacht? Allein sein gesellschaftsfähig? Ist das ernst gemeint oder einfach ein Übersetzungsfehler?

Social distancing – daher kommt die deutsche Formulierung wohl. Social auf englisch heißt – unter anderem – gesellig. Aber Social Media bedeutet doch etwas ganz anderes als Soziale Medien.  Medien sind doch nicht sozial.  Medien sind ökonomisch. Sie nutzen unsere soziale Ader, unseren Wunsch und Willen, sozial zu sein, mit anderen umzugehen, aus, um Geld zu verdienen. Spaß macht das trotzdem, aber sozial sind nicht die, sondern wir.

In der Umgangssprache bedeutet „sozial“ den Bezug einer Person auf eine oder mehrere andere Personen, das schließt die Fähigkeit (zumeist) einer Person, sich für andere zu interessieren und sich einzufühlen mit ein.

Das wollen wir doch hoffentlich beibehalten – auch wenn wir uns nicht sehen dürfen. Oder uns nicht näherkommen sollen als 1,5 oder 2 Meter. Ein paar Monate mit Corona heißen sicher nicht, dass wir danach alle asozial sind.

Regula Venske, Literaturwissenschaftlerin und Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, plädiert stark und zu recht dafür, dass wir trotz Krise unsere Worte mit Bedacht wählen. Wir, das heißt Journalisten, Medienmacher, Menschen in politischen Institutionen und Politiker:

„Wenn wir an unsere Parteien denken, von der Sozialdemokratie bis zur Christlich-Sozialen Union, die Soziale Marktwirtschaft – da ist „sozial“ immer assoziiert mit gesellschaftlicher Solidarität, mit Verantwortung, mit Fürsorge und Gemeinsinn. Wenn wir jetzt von „sozialer Distanz“ sprechen, dann könnte das ein ganz falsches Signal geben. Es könnte Menschen, die sich sowieso schon an der Einkommensgrenze befinden oder die sich abgehängt fühlen und jetzt große Ängste haben, in diesem Gefühl der Mutlosigkeit oder der Panik bestärken. Statt „sozialer Distanz“ sollten wir eher „physische“ oder „räumliche Distanz“ sagen, oder „körperlicher Abstand“.

Das ist doch auch genau, worum es geht. Die Worte mit Bedacht wählen. Auch die, von denen man meint, sie wären schon Allgemeingut, schon immer dagewesen, ganz normal oder ach so treffend. 

Sozial bedeutet laut Wikipedia das (geregelte) Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft betreffend; auf die menschliche Gemeinschaft bezogen, zu ihr gehörend.

Das werden wir, werden Sie und ich, doch hoffentlich nicht gleich opfern, wenn wir Distanz halten. Oder einen Mundschutz tragen. 

Bleiben wir also sozial – trotz Distanz.

Eine Pandemie führt dazu, dass den Wortkreationen keine Grenzen gesetzt sind.  Noch keine 100 Tage waren seit Ausbruch der Corona-Pandemie vergangen, da gab es bereits die ersten neuen Wörterbücher: Das Oxford English Dictionary wurde nach wenigen Wochen der Corona-Pandemie wegen außerhalb der Reihe aktualisiert. Die Niederländer stellten als erste ein umfängliches Corona Wörterbuch online, das Coronawoordenboek mit mehr als 700 neuen Wörtern und Wortkreationen mit den herrlichsten Formulierungen: hamsteren, afstandschaamte, gezichtsmasker, lockdownkilo, quarantainebreker… Auch wir kennen das Händeschüttelverbot, die Corona-Frisur oder den Schniefscham, der auf holländisch übrigens Snotterschaamte heißt.

Ein Wort, das es schon lange in den deutschen Duden geschafft hat und bis zum Frühjahr 2020 dem durchschnittlichen deutschen Mittelständler die Schweißperlen auf die Stirn trieb, lautet Homeoffice. Auch wenn muttersprachlich Englisch sprechende Menschen davon noch nie gehört haben – in angelsächsischen Ländern heißt das Arbeiten von Zuhause WFH working from home* – ist das Wort in aller Munde. Die einen ahnen jetzt erst, was das wirklich heißt, die anderen lernen, dass Arbeiten zuhause für einige wunderbar geht, für andere einer Einzelhaft gleich kommt. Fans des Homeoffice werden nach Corona mit Begeisterung ins Büro stürmen, die Feinde merken, dass Effektivität und Produktivität nicht von der Umgebung, sondern von den Menschen abhängen, nicht davon, ob der Laptop auf dem Esstisch oder der Computer auf dem Schreibtisch steht, sondern von dem*derjenigen, die*der davor sitzt. Nichts bleibt wie es ist, alles geht wenn auch anders. Home und Office, Zuhause und Büro, die Trennung findet im Kopf statt, beides kann gut zusammen gehen auf einem neuen Weg, auf den uns die Krise führt.

Einer der neuen Wege, den bestimmt weder Sie noch ich je beschreiten wollten, ist das Homeschooling. Bislang eher merkwürdigen Sektierern vorbehalten, als Wortkreation somit zwar bekannt, doch heute, schon nach wenigen Wochen mit Leben in bundesdeutschen Haushalten gefüllt, gefürchtet bis gehasst. Ein Wort und seine Umsetzung, die beide hoffentlich schnellsten wieder in der Versenkung verschwinden und dem Vergessen anheimfallen. Auch auf eine ordentliche deutschsprachige Version verzichte ich persönlich gern, wenn das Kind endlich wieder regelmäßig zur Schule kann. 

Im politischen Diskurs geht es bei der Verwendung und dem Einsatz von Sprache um Macht. Um die Deutungshoheit zu Themen, Entwicklungen, politischen Entscheidungen. Sprache ist ein wirkmächtiges Mittel politischer Kommunikation bis hin zur politischen Meinungs- und Stimmungsmache. Eine Art Fachbegriff dafür ist das FRAMING geworden, auch ein ganz typisch deutscher Begriff…. 

VIDEO: https://www.br.de/mediathek/video/erklaerfilm-was-ist-framing-av:5bcef0b7640b94001c029275

Die in Kalifornien arbeitende Linguistin, Kognitions- und Verhaltensforscherin Elisabeth Wehling hat den Begriff Framing auch bei uns etabliert, ihr Buch „Politisches Framing, wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht“ ist sicher nicht unumstritten, gibt aber doch sehr interessante Einblicke und schafft ein Gefühl für die Obacht, die wir alle walten lassen sollten, wenn es um Begrifflichkeiten und den Umgang mit Sprache im politischen Diskurs geht.

Kurz gesagt: In Worten steckt viel mehr als wir glauben. Worte aktivieren in unserem Gehirn ganze Vorratslager abgespeicherten Wissens – zum Beispiel Bewegungsabläufe, Gefühle, Gerüche, visuelle Erinnerungen. Diese Erfahrungen verleihen den Worten erst Bedeutung.

Das kann man nutzen – oder auch ausnutzen.

Ein Beispiel sei hiermit anhand des Begriffes „Steuern „aufgeführt: Steuerlast, Steuerbelastung, Steuerbürde etc. Nur selten werden Steuern in einen positiven Kontext gestellt, nur selten wird über die sinnvolle, notwenige, gar Gemeinschaft erhaltende Verwendung gesprochen, der eigentliche Sinn von Steuern: Schulen und Kindergärten, Straßen und Schienen, Wohlfahrt und Sozialsysteme zu unterhalten, wird selten erwähnt. Niemand zahlt gerne Steuern besonders wenn es e nie reicht, wenn sowieso nur das Falsche damit gemacht wird, wenn sie immer nur verschwendet werden.  Weitere Frames laut Wehling sind dazu: Steuerfalle, Steuerschlupfloch, Steueroase, Steuerparadies, Steuerflucht, Steuerasyl.. Die Liste ist endlos. Je öfter diese Begriffe fallen, umso mehr werden sie Meinung, womöglich als Bedrohung empfunden, werden sie politisches Handeln, womöglich Wahlverhalten. Wem fallen schon positive Begriffe mit dem Wortbestandteil „Steuern“ ein?

Ein kurzer Blick zurück will noch einmal daran erinnern wie sehr Sprache Machtmittel in Zeiten von Krisen werden kann. Flüchtlingswelle und Asyltourismus sind beides Wortkreationen, die den Diskurs medial, politisch und an den Stammtischen der Nation 2015/16 maßgeblich mitbestimmt haben. Ob man wollte oder nicht, man kam nicht daran vorbei. Dabei steckt hinter beiden Begrifflichkeiten aus meiner Sicht eine grauenhafte, eine schreckliche und menschenverachtende Missdeutung der furchtbaren Situation, dass Menschen aufgrund eines Krieges flüchten mussten. Wer von einer „Flüchtlingswelle“ spricht, beschwört eine Angst vor einer übermächtigen Gewalt, vor dem Ertrinken, schafft das Bild einer Katastrophe, eines riesigen Schadens, einer Übermacht, an eine riesige Menge von irgendwas, geeignet und alle zu ertränken. Das Wort erinnert an einen Tsunamie, aber nicht an Kinder ohne Eltern, nicht an hilflose Menschen in armseligen Rettungsbooten, nicht an arme Vertriebene ohne Heimat, nicht an Menschen in Not, denen es zu helfen gilt. Hören wir „Asyltourismus“ denken wir an Sommer, Sonne, Sundowner. Mit diesem Begriff wird „die Flucht vor Gewalt, Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger oder Armut zur Urlaubsreise umgedeutet.“ (SZ, 5. Juli 20018) Als ob die Menschen, die ihre Heimat verlassen, ihre Familie, ihr Land, ihr Leben und irgendwo anders Asyl beantragen, das freiwillig tun. Wohl kaum. Wenn sie nach drei Wochen im Schlaraffenland an ihre heimischen Arbeitsplätze zurückkehren könnten, hätten Sie ja ein Rückflugticket. Im Laufe der Zeit wurde aus dem freundlichen, wenn auch schon immer leicht kuriosen Begriff der Gutmenschen etwas schlechtes, verächtliches, eine ahnungslose Spezies völlig naiver Idioten wurde mit diesem Begriff in eine Ecke gedrängt, aus der wir immer noch nicht wieder heraus sind. Aber aus Flüchtlingen wurden Geflüchtete. Weil sehr, sehr viele Menschen gegengehalten haben. Gegen die Entmenschlichung, gegen die Herabwürdigung, gegen die unnötige Angst vor den Geflüchteten, den wahren Opfern in diesem Krieg – dem realen und dem der Worte.

In seinem Buch „vom Öffentlichen Gebrauch der Vernunft“ schrieb Björn Engholm: „Politik hat das Recht, zu vereinfachen, auch zu verallgemeinern, einseitig zu sein, selbst der Holzschnitt ist nicht immer illegitim. Nicht legitim ist die Produktion von Stapelware, ist politisches Vokabular im Sommerschlussverkauf, sind die Nullformeln und verbalen Leerplätze. Nicht legitim ist es außerdem, aus dem Gegner einen Feind zu machen, auf seine Person zu zielen, statt auf die von ihm vertretene Sache. Es ist ein Unterschied, ob rhetorisch Florett gefochten wird oder der Keulenschlag geübt, ob Krieg erklärt oder Konsens erstrebt wird.“

Mein Appell ist also: Denken Sie gut nach bevor Sie Sprache nutzen. Machen Sie sich klar, was Ihre Worte bewirken. Was sie auslösen. Welche Macht sie haben können. Arbeiten Sie gegen die Begriffe, die uns untergejubelt werden, setzen Sie anderes, Besseres dagegen. Und geben Sie nicht auf. Wir sind mehr.

Sprache ist so mächtig, dass sie Stammtische dominieren, Talkshows gestalten und Wahlverhalten verändern kann. Aber sie hat viel Konkurrenz im Wettbewerb um die höchste Aufmerksamkeit, um die stärkste Wirkung.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Oh ha. Schon ist sie entlarvt, die Schwäche der Sprache. Bilder dominieren die Welt. Heute mehr denn je. Da hat es die Sprache nicht leicht. Sie sehen ein schreiendes weinendes Baby mit einem blauen Strampelanzug auf einem Foto und glauben dieser Bildunterschrift keine Sekunde: Glückliches Kind im Arm seiner Mutter. Noch tragischer an der Sache ist, dass Sie sich hinterher an das schreiende, weinende Baby in einem blauen Strampelanzug länger erinnern werden als alle Worte, die dazu gesagt werden. Sie werden sich auch länger an das Baby erinnern, wenn ich Ihnen verrate, dass diese kleine Maus Leonard heißt, dass er eine Lungenentzündung hat, in diesen Zeiten damit im Krankenhaus versorgt werden muss, sich seine Eltern, die aus Syrien stammen, große Sorgen machen – natürlich wegen Corona – dass er zwei ältere Geschwister hat, eine Schwester und einen Bruder, und dass seine Mutter Zahnärztin ist. Und dass alle in Nürnberg leben.

Alles erfunden.

Aber ich bin sicher, dass diese Geschichte es sein wird, die Sie morgen noch erinnern, die sie weitererzählen. An die sie noch dann denken, wenn Sie je einen Fuß nach Nürnberg setzen. Da war doch diese Zahnärztin aus Syrien mit dem Baby …

Geschichten schaffen Bilder. Bilder schaffen Erinnerung.

Die Bilder im Kopf, um die geht es, die entstehen durch die Substantive. Durch die richtigen Substantive, durch die, bei denen man etwas sieht. Ein konkretes Bild vor Augen hat. Je konkreter desto erinnerbarer. Desto wirkmächtiger.

Aber nicht jedes Substantiv schafft gleich ein gutes Bild. Produkt schafft kein Bild und wenn ein falsches. Beim Adressaten selten das, was der Rezipient tatsächlich meint. Banker verkaufen ein Produkt und meinen einen Kredit. Bäcker verkaufen ein Produkt und meinen Brot. Hightec-Konzerne verkaufen Produkte und meinen Handys. Wenn ich Produkt höre, sehe ich Erdbeermarmelade. Warum auch immer. Immer Erdbeermarmelade. Immer das falsche Bild. Andere Worte derselben Wirklosigkeit sind Infrastruktur, Markt, Transformation, sogar Digitalisierung: Was heißt das? Faxen leicht gemacht? E-Mails schreiben? Ohne sofort und unmissverständlich das richtige Bild im Kopf zu generieren, lösen etliche diese Worte eher Unverständnis und im schlimmsten Falle Angst aus.

Werden Sie wirklich verstanden? Das ist die Frage, die beim Umgang mit Worten eine gewichtige Rolle spielt. Wer immer außerhalb seiner direkten Peergroup kommuniziert, muss über seine Worte nachdenken und was sie bedeuten. Die Worte, die in einem Unternehmen, einem Haus, einer Branche benutzt werden, sind oft wie ein Code. Niemand da draußen versteht sie. Vielleicht soll das manchmal so sein. Wer mich nicht versteht, gehört nicht dazu. Wenn ich nicht konkret werde, habe ich mich nicht festgelegt, kann ich auch nichts dafür, wenn die mich alle falsch verstehen…?

Oft hat sich dieses Prinzip einfach nur eingeschlichen, alle gewöhnen sich dran, machen das, was die anderen tun und brechen die Sprachlosigkeit nicht mehr auf. Schade.

Damit kommen wir zum Rezipienten. Einer, zwei, viele, ganz viele.

Menschen in der heuten Welt werden förmlich erschlagen  durch eine Unmenge an Informationen, die jeden Tag, jede Stunde, ja jede Minute auf sie einprasseln. Worte überall, im Handy, im Radio, im Fernsehen, in der U-Bahn, im Supermarkt. Kaum noch Ruhe, kaum Pause aber much too much information.

Jeder Sender erwartet viel zu viel von jedem Empfänger. Jeder, der sendet, will mit Macht durchdringen, erwartetet Aufmerksamkeit, ist sicher, verstanden zu werden. Aber mitnichten. Weil alle in ihren eigenen Welt herumgeistern, gar in ihrer eigenen Wortwelt gefangen ist.

Viele Menschen gehen heute unter in der Flut an Informationen. Wem geht das nicht so? Aber machen Sie sich einmal klar, dass Menschen wie Minister*innen, Vorstände, Abgeordnete, Führungskräfte überhaupt,  sehr viel mehr als ein Fachgebiet, ein Sachthema im Auge haben müssen. Menschen, die andauernd Termine haben, Menschen, die jeden Tag etliche andere Menschen treffen, die jeden Tag Unmengen an Vorlagen und Vorbereitungen lesen müssen, die Zeitung im Zweifel auch noch. Diese Menschen müssen filtern, verteilen, delegieren, sich selber ausklinken, priorisieren, werten … und jeder, der ihnen nur eine Minute lang begegnet ist, glaubt trotzdem fünf Jahre später noch, die Person müsste noch genau an den eigenen Namen erinnern, weil man selber ja so etwas unglaublich wichtiges berichtet hatte. Jeder, der für solche Menschen arbeitet, kürze und würze, wo es nur geht. Für das Kleingedruckte ist der Tag meist zu kurz, für jede Seite hinter der ersten fehlt so oft die Zeit, steht der nächste Termin doch schon im Türrahmen.

Im Umgang mit Menschen mit Behinderung wird die „leichte Sprache“ bevorzugt. Richtig. Und gut so. Aber spätestens, wenn im eigenen Bekanntenkreis die ersten habilitierten Eltern auftauchen, die begeistert von den LOGO Kindernachrichten erzählen, erhärtet sich ein Verdacht: Komplexreduzierung ist ein fundamentaler Bestandteil guter Kommunikation.

Aber es geht nicht nur um Komplexreduzierung. Es geht auch um Mut. Mut bei der Gewichtung, bei der Reduzierung: Ich zitiere ein noch nicht veröffentlichtes Werk mit Genehmigung des Verfassers:

  • Jede Vorlage zur Information oder Entscheidung hat Verfasser von deren Urteilsvermögen grundlegende Entscheidungen oder zumindest Entscheidungs-Vorbereitungen ausgehen.
  • Das korrekte Format einer Vorlage sagt nichts über deren Inhalt.
  • Der Anspruch des Adressaten wird formal den jeweiligen Moden und  persönlichen Vorlieben unterliegen, inhaltlich jedoch gilt stets der Grundsatz des Sunzi*, nämlich: dass der kluge Kämpfer seine Schlachten gewinnt, indem er keine Fehler macht.  (*Die Kunst des Krieges, Kapitel 4, Taktik,  Absatz 13)
  • Der geschickte Streiter an der Vorlage unterliegt demnach den eigenen Ansprüchen in mindestens dem gleichen Ausmaß, wie denen der darüber gelagerten Ebenen der Hierarchie, auch wenn diese divergent (widersprüchlich) und teilweise opak (also undurchsichtig/verschleiert) sind.
  • Neben korrekt, gilt aber nutzbar als ebenso wichtig zu erachten.
  • Sich durch Masse und Vollständigkeit abzusichern ist also schlicht falsch. Wertung, Bewertung, Einordnung ist notwendig für jede weitere Verwendung. 


Eine einfache und schöne Art zu üben wie man in wenigen Worten zum Punkt kommt und ein wichtiges Anliegen gut an die richtige Person herantragen kann, ist der Elevator Pitch. Dahinter verbirgt sich die Idee, dem Menschen im Aufzug zu begegnen, der für die eigene Karriere, für das Projekt, das einem am Herzen liegt, für den Pitch des Lebens entscheiden ist. Der totale Zufall. Die ultimative Chance. Es bleibt eine Minute, um ihr oder ihm alles zu sagen! Das ist so wenig und doch so viel Zeit. Wie sie nicht verschwenden, wie die richtigen Worte finden, wie den passenden Ton? Es lohnt, sich darüber Gedanken zu machen. Das einmal auszuprobieren. Den kleinen Text mal jemand anderem zu erzählen.

Wir sind Papst. Eine gute Botschaft ist wie eine gute Überschrift.

Niemand wird über eine Pressemitteilung den langweiligsten Satz schreiben. Oder auch: Wenige Worte können schrecklich viel ausdrücken. Yes, we can. I have a dream. Schon erstaunlich, wie viele Menschen auf die Frage, was Sie an guten Reden erinnern, auf zwei Amerikaner kommen. Ein Faszinosum, dass im Deutschen eher Schlagzeilen ins kulturelle Gedächtnis eingehen, große Reden kaum erinnert werden. Wir sind Papst, damit ist alles gesagt. Alle verstehen etwas  ähnliches und werden es nie vergessen.

Eine gute Botschaft, eine Kernaussage zu entwickeln dient jedem Absender dazu, auch für sich selber Klarheit zu schaffen. Was will man erreichen, was soll wie verstanden werden? Anders gesagt: Würde meine Großmutter noch mitkommen?

Bleiben wir bei der Priorisierung. Der Absender wertet. Das ist einfach so. Der, der den Text schreibt, der, der die Überschrift bestimmt, der, der die Zusammenstellung vornimmt. Der ist der Bestimmer. In diesem Moment. Was steht vorn im Text, was hinten.

Vollständig geht nie.

Vollständigkeit ist eine Illusion.

Der Job der allermeisten Menschen, die mit Sprache arbeiten, ist auszusieben, zu werten, zusammenzustellen. Und den Rezipienten niemals aus den Augen zu verlieren.

Wer andere Sprachen spricht, weiß wie anders die Tonalität, die Wortmacht, die Schönheit einer Sprache sein kann als die des guten alten Deutschen – und auch der Umgang mit ihr.

Französisch klingt immer noch so als ob der Sonnenkönig selber vom Thron herabposaunen würde. Die Sprache ist eine Melodie, sie ist ausschmückend, sie ist der Schmuck. Für Franzosen ist der Small Talk der Sinn des Gesprächs. Für uns ist der Small Talk das unnötige Vorgeplänkel. Wir kommen zum Punkt. Der Franzose verweilt. Das schlägt sich in der Sprache, in den Formulierungen, in den Schnörkeln wieder. Deutsch hat keine Schnörkel. Italiener, Spanier – selbst Amerikaner (zumindest die Obamas unter den Amerikanern) klingen viel pathetischer, viel emotionaler als wir.

Doch gibt es selbst in der deutschen Sprache den andauernden Versuch, höflich zu sein. Wir nutzen irrsinnig häufig Begriffe, Phrasen wie glauben, denken, hoffen. Ausgesprochen, im direkten Austausch, am Ess- oder Konferenztisch, ist das freundlich, höflich, beflissen. Weil wir den anderen nicht düpieren, weil wir gar nicht andauernd den anderen mit unserem Recht haben vor den Kopf stoßen wollen. So wie auch der Einsatz von Konjunktiven der Freundlichkeit dienen kann, schließlich ist es doch gut für die Stimmung, den Austausch, die Verbindlichkeit, wenn man dem Gegenüber nicht mit jedem Satz an den Kopf haut, dass er oder sie eine Knalltüte ist, der, die nichts verstanden hat.

Aber: Wenn wir streiten, glauben wir doch niemals, dass die Socken nicht vordie Waschmaschine gehören, sondern wir sind davon überzeugt, dass sie in derselben besser aufgehoben sind. In die öffentlichen Kommunikation, in die schriftliche Kommunikation gehören diese Worte nicht. Wer überzeugen will, wer recht hat, darf nicht relativieren.

Glauben tun wir an Gott.

Denken tut der Mensch hoffentlich bevor er schreibt oder spricht.

Hoffen ist etwas für Anfänger.

Eigentlich ganz einfach.

Stellen wir uns nun also keinen rosa Elefanten vor. Keinen rosa Elefanten..

Klappt nicht? Kein Wunder. Wir können Verneinungen nicht denken.

Wer erst einmal alles das aufschreibt, was nicht geht, was nicht gut ist, was nicht funktioniert, thematisiert und manifestiert immer die falschen Worte, die ungewollten Bilder.
Haben Sie eine Krise? Nein, wir haben keine Krise. Was hängen bleibt ist: Krise.

Formulieren Sie positiv, aktiv, nach vorne gerichtet. Sagen Sie das, was sein muss, was kommen soll, schreiben Sie das bessere, das erfolgreichere auf.

Wer die Vorwürfe aufgreift, die der Gegner formuliert und die entsprechenden Substantive dadurch immer wiederholt, der verfestigt diese, aber nicht das, was er oder sie will. Es ist oft nur der andere Blick auf dieselbe Sache, aber es triggert andere Worte, ganz andere Bilder. Den Erfolg, die gute Tat, das Ziel.

Viel ist relativ. 8 Milliarden Dollar  für die WHO sind nichts, 80.000 Euro Schulden sind für den normalen Bürger, die Bürgerin ein totaler Ruin. 100.000 Gesichtsmasken klingt viel für mich, wenig für die Charité. Werten, bewerten Sie Zahlen und sind Sie sparsam mit ihnen.

Auch wenn man ganz bei der Wahrheit bleibt – und das sollen sie immer tun – ist die Bewertung der Zahlen entscheidend für ihre Wirkung.  So klingt die Aussage „8 von 10 Teilnehmern gewinnen das Gewinnspiel“ sehr verlockend. Auf der anderen Seite wird es schwer, Leute mit der Ankündigung „20% der Teilnehmer verlieren das Gewinnspiel“ zu überzeugen, Geld auszugeben. Beide Aussagen haben den gleichen Inhalt, aber lösen doch wohl bei jedem völlig unterschiedliche Reaktionen aus. 

Wenn Du es nicht einfach erklären kannst, hast Du es nicht verstanden. Soll Einstein gesagt haben.

Als es noch wenige Worte und keine Bilderflut gab,
als noch niemand einen Fernseher hatte,
als das Internet noch nicht mal mehr ein Science Fiction  war,
stattdessen Theater, schwarz-weiß Kino, die mehrmals am Tag erscheinende Tageszeitung, das Radio, und Reden im Reichstag die öffentliche Kommunikation ausmachten, hat

Kurt Tucholsky,  Schriftsteller, Journalist, Theaterkritiker der 20er Jahre einer anderen Zeit als Tipp für gute Redner drei Dinge gesagt: Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.

Claudia C. Bender

*Ich empfehle dazu einen wunderbaren Artikel von Katja Scholtz, Übersetzerin und Lektorin beim Mare-Verlag ist, in der FAZ:  https://www.faz.net/aktuell/stil/trends-nischen/anglizismus-das-wort-home-office-wird-nur-im-deutschen-gebraucht-16727926.html